Riedls Dax-Radar
Kurstiefen ausloten, Favoriten abpassen
Bild: imago images
Kursschock bei Siemens Energy, Renditefrust bei Volkswagen. Dafür solide Aussichten bei Mercedes-Benz und starke Ergebnisse der Deutschen Bank. Und Rheinmetall setzt bei seiner Siegesserie noch einen drauf.
Mit ihrem Hinweis auf eine Pause bei den Zinserhöhungen und den zunehmenden Erfolgen der Inflationsbekämpfung sorgt die Europäische Zentralbank auf den Bondmärkten für eine Erleichterung. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen, die am Vortag noch bis auf 2,92 Prozent geklettert ist, driftet mit den Statements der EZB bis auf 2,83 Prozent ab. Ein deutlicher Abstand zum jüngsten Zinshoch, bei dem die Bundrenditen Anfang Oktober zum ersten Mal seit 2011 wieder die Marke von 3,0 Prozent erreicht hatten.
Nun wächst die Hoffnung, dass es auch auf der anstehenden Sitzung der amerikanischen Fed am 1. November zu einem ähnlichen Moratorium kommt: Keine wesentliche Kursänderung, allenfalls versehen mit dem Hinweis, bei wieder stärkerem Inflationsdruck noch einmal nachzulegen.
Allerdings, zwischen Amerika und Europa gibt es zwei wesentliche Unterschiede: Zum einen ist die US-Wirtschaft weiterhin erstaunlich robust. Im dritten Quartal hat sie um 4,9 Prozent zugelegt, während Europa konjunkturell nur knapp über der Nulllinie liegt. Zum anderen zieht die Fed über ihren Bilanzabbau derzeit Monat für Monat gut 90 Milliarden Dollar aus dem Markt.
Kein Wunder, dass zehnjährige US-Bonds mit 4,85 Prozent etwa zwei Prozentpunkte mehr bieten als zehnjährige Bunds. Anfang des Jahres hatte dieser Vorsprung noch 1,3 Prozentpunkte betragen. Den Abwärtsdruck auf den Euro, der seit Sommer von 1,12 auf 1,05 gegenüber dem Dollar gesunken ist, dürfte das weiter vergrößern.
Die Entwarnung an den Bondmärkten überträgt sich noch nicht auf die Aktienmärkte. Am Tag der EZB-Sitzung kämpft der Dax weiter um das wichtige Kursniveau um 14.700 Punkte, auf das er anfangs der Woche erstmals abgerutscht war. Und dazu funken jetzt auch noch schlechte Unternehmensnachrichten dazwischen.
Mitten im Sturm stehen die Aktien der Siemens-Familie, dessen Windkraftableger Siemens Energy mit dem Absturz auf bis zu 6,50 Euro weit unter das Coronatief gecrasht ist. Drei Gründe haben zu dieser katastrophalen Börsenentwicklung geführt: Die generelle Entzauberung der Wind- und Solarbranche, die besonderen technischen und wirtschaftlichen Probleme, die Siemens Energy mit seinem spanischen Windturbinengeschäft um Gamesa seit Jahren hat – und nun in einer zunehmend existenzbedrohenden Situation auch noch der Ruf nach Staatshilfen.
Für Aktien von Siemens Energy war das nach dem Debakel vom Juni schon der zweite Crash innerhalb weniger Monate. Extrembewegungen dieser Art sind ein Zeichen dafür, dass die Börse auf der Suche nach einer komplett neuen Bewertung einer Aktie ist. Natürlich, bei mehr als 30 Milliarden Euro Jahresumsatz wird sich dieses Unternehmen nicht in Luft auflösen. Die Aktie wird also selbst bei milliardenhohen Abschreibungen immer einen gewissen Wert widerspiegeln; aktuell sind es 5,5 Milliarden Euro, also knapp ein Fünftel des Jahresumsatzes.
Das ist gar nicht einmal wenig für ein Unternehmen, das in einer so verfahrenen Lage wie Siemens Energy steckt und das seit Jahren keinen echten Ansatz für eine Erholung bietet. Genau darauf aber dürften in den nächsten Wochen risikofreudige Spekulanten immer wieder setzen – und dies könnte dann im weiten Bereich zwischen fünf und zehn Euro zu heftigen Kursbewegungen führen.
Auch für Mutterkonzern Siemens ist der Absturz der Windkrafttochter ein Desaster. Zwar hat Siemens nur noch gut 25 Prozent an Energy, aber die strategische Verantwortung liegt im Hauptquartier. Dass Siemens selbst zuletzt bei seiner Vorzeigesparte digitale Automatisierung Rückschläge hinnehmen musste, kommt erschwerend hinzu.
Siemens-Aktien haben im August mit dem Rutsch unter 143 Euro ein klassisches Verkaufssignal gegeben. Die danach eingeleitete Abwärtsbewegung hat sich nun noch einmal beschleunigt. Mittelfristig droht ein weiterer Rückgang in den Bereich 110 bis 115 Euro.
Volkswagen enttäuscht, Mercedes-Benz mit solidem Gewinn
Der zweite große Industriewert im Dax, der immer weiter unter die Räder kommt, ist Volkswagen. Die jüngsten Meldungen sind deshalb so enttäuschend, weil sie genau das Gegenteil zeigen, das die Wolfsburger eigentlich anvisiert hatten: Statt bei ihrem Kernproblem, die mangelnde Gewinnkraft der Marke VW, endlich voranzukommen, rutscht die operative Marge hier weiter ab, zuletzt von 4,7 Prozent auf 3,4 Prozent. Der Hinweis auf höhere Produktionskosten beruhigt kaum, andere Marken im VW-Universum verdienen hier wesentlich besser.
An den grundsätzlichen Problemen der Volkswagenaktie hat sich damit bisher nichts geändert: Trotz hoher Substanzstärke und der rentablen Luxusmarken Porsche und Audi zieht die Schwäche des Kerngeschäfts der Marke VW die Notierungen nach unten. Ein Rückgang auf das Niveau der Tiefpunkte seit 2011, also Kurse um 90 Euro, wäre für die im Dax notierte Vorzugsaktie keine Überraschung.
Dass es an der Börse nun sogar Mercedes-Benz erwischt, ist ein Zeichen, wie schwierig mittlerweile das Umfeld der Fahrzeugbranche geworden ist. Allerdings, zunächst einmal ist die negative Reaktion auf das jüngste Quartalsergebnis der Stuttgarter Jammern auf hohem Niveau: 37,2 Milliarden Euro Umsatz (minus 1,4 Prozent) und 3,72 Milliarden Euro Reingewinn (minus 7,0 Prozent) sind angesichts der Branchenturbulenzen ein sehr respektables Ergebnis. Die Luxusstrategie von Mercedes-Benz zeigt sich damit auch in schwierigen Zeiten resilient.
Ein Gesamtumsatz von rund 150 Milliarden und – vorsichtig gerechnet – 13 Milliarden Euro Nettogewinn dürften 2023 realistisch werden. Bei 60 Milliarden Euro Börsenwert ergäbe das ein Kurs-Umsatzverhältnis von 0,4 und ein Kurs-Gewinnverhältnis von weniger als fünf. Das ist, zumal für eine Luxusmarke, ein echtes Discountangebot – für das es auch noch eine Dividende von gut acht Prozent geben dürfte. Der Rückgang der Mercedes-Aktie, der in einer allgemeinen Marktschwäche womöglich noch bis in Richtung 50 Euro gehen könnte (hier lag das Tief 2022) zeigt mittlerweile Züge einer Übertreibung nach unten; ein Signal, dass die Kurstiefen nicht mehr allzu weit entfernt sein könnten.
Eine kalte Dusche gab es bei HeidelbergMaterials. Noch bis vor kurzem zählte der Baustoffkonzern zu den wenigen Aktien im Dax, die über der 200-Tagelinie notieren – kurz danach rutschten die Kurse darunter durch. Auslöser waren vorläufige Quartalszahlen, die keineswegs schlecht ausgefallen sind: Zwar ist der Umsatz leicht von 5,85 auf 5,61 Milliarden Euro gesunken, der Gewinn aus dem laufenden Geschäftsbetrieb aber legte von 874 auf 1080 Millionen zu. Für 2023 werden die Erwartungen heraufgesetzt.
Der jüngste Kursrückgang bei HeidelbergMaterials ist eine klassische Verkaufsreaktion nach guten Nachrichten und langem Anstieg. Er könnte eine Korrektur in den Bereich bis etwa 60 Euro einleiten, sollte den seit Herbst vergangenen Jahres ansteigenden Trend allerdings nicht umkehren. Zudem punkten die Heidelberger mit niedriger Bewertung und hoher Dividende.
Fazit für den Dax: Obwohl es von der Zinsseite Entspannungssignale gibt und wichtige Unternehmensergebnisse (wie von Mercedes-Benz oder in den USA von Microsoft und Amazon) alles andere als schlecht sind, hat sich die Abwärtstendenz an den großen Börsen zuletzt weiter fortgesetzt: Dow Jones, S&P 500 und der europäische Stoxx 600 sind mittlerweile deutlich unter ihre 200-Tagelinien gesunken. Der Nasdaq-100-Index hält sich dank starker Einzelaktien wie Microsoft noch knapp darüber, die breitere Composite-Variante ist schon leicht darunter getaucht. Ein Warnsignal ist zudem die jüngste Schwäche der Chipaktien, in der Regel feinfühlige Indikatoren für die weitere Entwicklung der Hightechbranche. Im Dax steht besonders Infineon unter Druck.
Bei rund 14.700 Punkten hat der Dax das Niveau des letzten, markanten Tiefs vom März 2023 erreicht. Von hier aus wäre durchaus eine Erholung möglich, doch die übergeordnete Marktrichtung hat im September nach unten gedreht. Jetzt einfach an schwachen Tagen zu kaufen, kann aufgehen, ist aber sehr riskant.
Immerhin, auch im Dax gibt es Lichtblicke. Rüstungskonzern Rheinmetall verdient viel mehr als erwartet, rechnet mit überdurchschnittlichem Wachstum und sollte angesichts hoher, langfristiger Aufträge weiter zu den Überfliegern gehören. Die alten Kurshöhen um 270 Euro sollten bald überwunden werden.
Und auch die Deutsche Bank kommt wieder: Nach 3,5 Milliarden Euro Nettogewinn in nur neun Monaten steuern die Deutschbanker 2023 einen Gewinn an, der mindestens bei 4,5 Milliarden Euro liegen sollte. Bei 21 Milliarden Euro Marktkapitalisierung ergibt dies eine sehr günstige Bewertung, eine gute Dividendenrendite – und dazu die Aussicht auf kurstreibende Aktienrückkäufe.
Author: Katherine Armstrong
Last Updated: 1700161562
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